Ein neuer Abschnitt hat begonnen. Waren die letzten Wochen vergleichbar mit den dänischen Inseln, kurze Distanzen und ruhige See, kommt jetzt ein Faktor dazu, der nicht vernachlässigt werden darf: La Houle! Die Dünung ist zumeist Restposten vergangenen Starkwinds weit draußen, sie wird in Höhe und Richtung exakt vorhergesagt und muss in die Planung einbezogen werden. Die Häfen der südlichen Biscaya haben allesamt flache Zufahrten, Dünung oder Schwell können zu verheerenden Bedingungen führen. Kein Revierführer spart mit Warnungen und man ist gut beraten, Folge zu leisten. Der Reeds Almanac ist hier das Vademecum schlechthin, folgt man seinem Rat, kann kaum etwas schief gehen. Wir sind um die Nordspitze von Oleron nach See gegangen, die Ebbe bei Springtide bescherte brechende See bei einem Meter Dünung, nicht gefährlich, aber eine eindrucksvolle Warnung an den Segler, der sich vielleicht in unbeschwerter Urlaubslaune befindet. Das Einlaufen in die gewaltige Gironde haben wir zum Tidenwechsel geplant, alles safe, aber die Brandung auf den Flachs neben dem Fahrwasser war respekteinflössend.
In Port Medoc auf der Südseite der Mündung beginnt eine völlig andere Landschaft: Pinienwald und Strand, soweit das Auge reicht. Medoc ist aber auch das Stichwort für unseren nächsten Hafen, in Pauillac gelangen wir in das Weinanbaugebiet schlechthin. Die Châteaus haben klangvolle Namen, Mouton Rothschild und Latour sind fußläufig erreichbar.
Der Hafen von Pauillac und die Stadt selbst sind, ein Revierführer hat hier die treffenden Vokabeln, somewhat down-driven and ramshackled. Ich bin ja nun wirklich fern jeden sozialistischen Gedankens, aber wenn vor den Toren der Stadt Luxusgüter für reich und schön produziert werden, sollte der Heimatort nicht so heruntergewirtschaftet sein.
Bordeaux, ein Traum! Die Stadt oberhalb des Zusammenflusses von Dordogne und Garonne ist dem Schicksal anderer Orte entgangen, am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde nichts zerstört. Der deutsche Divisionskommandeur in der besetzten Stadt kam dem Befehl Hitlers nicht nach, Brücken und Hafenanlagen zu sprengen, und so haben wir heute das Glück, durch eine wunderschöne Altstadt zu flanieren, die nicht durch Hertie-Kaufhäuser und ähnliche Bausünden verschandelt wurde.
„Nur Esel und Weiße gehen in der Sonne“ ist der Titel eines Werkes von Günter Canzler, in dem dieser von seinen Aussteigererfahrungen in Venezuela berichtet, und gleichzeitig eine südamerikanische Lebensweisheit. Und die haben wir uns hier zu eigen gemacht, seit zwei Wochen herrschen hochsommerliche Temperaturen, und jenseits von dreißig Grad ertappen wir uns immer häufiger dabei, die Straßenseite zu wechseln, nur um ein wenig Schatten zu erhalten. Die Orte sind um die Mittagszeit menschenleer, erst zum Abend ist wieder Leben in den Straßen, eine südliches Flair bestimmt das Bild.
In diesem Haus verbrachte Friedrich Hölderlin drei Monate als Hauslehrer bei Consul Meyer. Warum er überstürzt abreiste und zu Fuß nach Hause lief, ist bis heute ungeklärt. Deutschland errichte er verwirrt und verwahrlost, er erholte sich zeitlebens nicht mehr davon.